Ein Überblick über das Arbeitsgebiet der Astrophysik II



Das neue Bild des interstellaren und intergalaktischen Mediums

von Philipp Richter
IGM Verteilung

Abbildung 1: Computersimulation der Verteilung des intergalaktischen Mediums.
Credit: Mit freundlicher Genehmigung von Renyue Cen

Diffuses Gas, welches sich zwischen den Sternen und zwischen den Galaxien befindet, stellt eine essenzielle Materiekomponente im Universum dar. Riesige Mengen von Gas wurden im Anfangsstadium des Universums unter dem gravitativen Einfluss der Dunklen Materie zusammengeballt und bildeten somit die erste Generation von Galaxien und Sternen. Galaxien enthalten auch heute noch große Mengen an diffusem Gas und wandeln dieses fortwährend in neue Sterne um. Für die Entstehung und Entwicklung von Galaxien spielt die gasförmige Materiekomponente im Universum deshalb eine Schlüsselrolle.

Nur etwas 5 Prozent des Materie/Energie-Inventars des Universums besteht aus „herkömmlicher“ (=baryonischer) Materie, also den Atomen und Molekülen, aus denen die Sterne - aber auch wir selbst - zusammengesetzt sind. Unter dem Einfluss der Gravitation entwickelte sich aus einer zunächst relativ homogenen Dunkle-Materie-Verteilung ein mit der Zeit zunehmend inhomogenes, filamentartig strukturiertes Universum. Die baryonische Materie folgte dem Schwerefeld der Dunklen Materie und strukturierte sich zu immer größeren Dichtekontrasten. Aus dieser Strukturentwicklung erwuchs das Universum mit seine Planeten, Sternen, Galaxien und kosmologischen Filamenten, so wie wir es heutzutage beobachten können.

Wenn Astronomen mit ihren großen optischen Teleskopen in die Tiefe des Universums schauen, so sehen sie eine Vielzahl von Galaxien bzw. das Licht der vielen Billionen Sterne, die sich in diesen Galaxien befinden. Tatsache ist jedoch, dass sich der größte Teil der baryonischen Materie im Universum außerhalb von Galaxien in Form von diffusem Gas im intergalaktischen Raum befindet. Dieses Plasma ist so dünn, dass es kaum Strahlung emittiert und deswegen sehr schwer zu beobachten ist. Wenn es um diffuses Gas im Universum geht unterscheiden die Astronomen zwischen dem intergalaktischen Medium (IGM), also Gas, welches sich außerhalb von Galaxien befindet und dem interstellaren Medium (ISM), Gas welches sich zwischen den Sternen innerhalb von Galaxien befindet. Der Übergang zwischen ISM und IGM ist fließend, da Galaxien keine scharfen Grenzen besitzen. Um die räumliche Verteilung und die physikalischen Eigenschaften des interstellaren und intergalaktischen Mediums zu verstehen, wollen wir uns in diesem Artikel einen Überblick über die bewegte Geschichte der diffusen, gasförmigen Materiekomponente im Universum verschaffen.

Das kosmisches Ur-Gas und das Zeitalter der Rekombination

Am Anfang des Universums, lange bevor die ersten Sterne entstehen, existiert die baryonische Materie in Form eines heißen, ionisierten Plasmas. Ionisiert bedeutet dabei, dass die Elektronen nicht in Atomen gebunden sind, sondern sich mit den Atomrümpfen im Plasma frei bewegen. In dieser kosmischen „Ursuppe“ gibt es als chemische Elemente vor allem Wasserstoff (da ionisiert, also freie Protonen), Helium, und Spuren von Deuterium und Lithium. Schwerere Elemente (z.B. Kohlenstoff und Sauerstoff) werden erst später durch Kernfusion in der ersten Sterngeneration erstmalig erzeugt. Der Massenanteil von Helium beträgt etwa 25 Prozent. Neben den Atomkernen und den freien Elektronen ist die Energiedichte des Plasmas und dessen Expansion vor allem von Photonen (also masselose Lichtquanten) und Neutrinos dominiert. Etwa 3 Minuten nach dem Urknall beträgt die Temperatur des Plasmas immer noch fast 1 Milliarde Grad Kelvin, viel zu heiß um Sterne und Galaxien bilden zu können. Doch das Plasma kühlt schnell ab, bis die Temperatur um mehr als 5 Größenordnungen auf ein paar tausend Grad gefallen ist. Es beginnt das Zeitalter der Rekombination, in dem sich die freien Elektronen und die Atomkerne zu neutralen Atomen erstmals zusammenfinden. Der Begriff „Re“kombination ist insofern etwas unglücklich gewählt, impliziert er doch ein wiederholtes Zusammenfinden von Elektronen und Atomkernen in Atomen, die vorher als solche allerdings noch nie existiert haben. Der Begriff Rekombination hat sich jedoch mittlerweile eingebürgert.

Entstehung der ersten Sterne aus primordialem Gas

Die Rekombination ist bei einer Rotverschiebung von etwa z~1100 abgeschlossen (ca. 300,000 Jahre nach dem Urknall). Aus dem ursprünglich extrem heißen Plasma ist ein atomares Gas geworden, welches überwiegend aus neutralem Wasserstoff besteht und das aufgrund der physikalischen Eigenschaften des Wasserstoffatoms jegliche energetische Strahlung absorbiert. Die fehlende Transparenz dieses Mediums für Licht kurzer Wellenlängen macht es den Astronomen sehr schwer, direkte Informationen aus dieser frühen Epoche des Universums durch Beobachtungen zu erlangen. Das neutrale Gas ist nicht homogen verteilt, sondern es folgt der gravitativen Anziehung der Dunklen Materie, die sich mit zunehmenden Alter des Universums mehr und mehr in filamentartigen Strukturen zusammenballt. In den größten und massivsten dieser Dunkle-Materie-Strukturen kann sich das Gas sammeln und schließlich zu Temperaturen herunterkühlen, bei denen die Entstehung der ersten Sterne möglich wird. Da das Gas zu diesem Zeitpunkt noch keine schweren Elemente enthält (man nennt es deswegen „primordial“; lateinisch: „von erster Ordnung“), kann die zur Sternentstehung notwendige Abkühlung des Gas nur über die Energieabstrahlung des Wasserstoffs erfolgen. Dies geschieht zunächst über die angeregten Zustände des atomaren Wasserstoffs bis etwa 10,000 Grad Kelvin, danach kühlt das Gas über die Linienabstrahlung des molekularen Wasserstoffs weiter herunter, bis zu Temperaturen von unter 1000 Grad, bei denen sich die ersten Sterne bilden können. Diese Sterne werden in der Astrophysik auch Population-III-Sterne genannt. Über die Eigenschaften der ersten Sternentstehungsgebiete ist wenig bekannt. Jedoch kann man aus physikalischen Überlegungen schlussfolgern, dass die Massen dieser Strukturen mindestens 10,000 Sonnenmassen betragen müssen, damit das Gas effizient kühlen und Sterne hervorbringen kann. Sicher ist auch, dass sich die Eigenschaften der ersten Sterne sehr von den Eigenschaften heutiger Sterngenerationen unterscheiden. Denn durch das Fehlen von schweren Elementen im primordialen Sternen-Gas ist dieses gegenüber Strahlung sehr transparent. Deswegen waren die ersten Sterne im Universum extrem massereich und leuchtkräftig, ihre Lebensdauer allerdings auch sehr kurz.

Das Zeitalter der Reionisation

Ablauf der Reionisation

Abbildung 2: Ablauf der Reionisation nach Stand der Kenntnis. Die ersten Sterne werden in relativ massearmen Dunkle-Materie-Halos gebildet. Darauf folgende Sterngenerationen bilden sich effizienter in massiveren Halos. Diese Sterne ionisieren das umliegende Gas. Durch die Überlappung der ionisierten Regionen wird das intergalaktische Medium schließlich vollständig ionisiert.
Credit: Philipp Richter.

Die Entstehung der ersten Sterne markiert einen wahrhaft epochalen Zeitpunkt in der Geschichte des Universums. Astronomen gehen heute davon aus, dass dieser Zeitpunkt bei einer Rotverschiebung zwischen z=20 und 30 gelegen haben muss, der genaue Zeitpunkt ist derzeit aber noch unklar. Doch welchen Einfluss haben die ersten Sterne auf das umgebende Gas? Der Einfluss ist sicherlich zweierlei. Zum einen sind die ersten Sterne extrem leuchtkräftig und auch sehr heiß, sodass viel energiereiche Strahlung freigesetzt wird. Die Emission dieser Strahlung führt dazu, dass das umgebende molekulare Wasserstoff-Gas dissoziert und schließlich ionisiert wird (dies bedeutet, dass die Molekularstruktur aufgebrochen wird und die Elektronen aus dem Atomverbund herausgelöst werden). Die ionisierende Strahlung frisst sich dabei durch das umgebende Gas und formt somit Blasen ionisierten Wasserstoff-Gases um die Sterne herum (siehe Abbildung 2). Dadurch wird zunächst einmal verhindert, dass weitere Sterne entstehen. Schon kurz nach der Bildung der ersten Sterne explodieren diese in sehr energiereichen Supernova-Explosionen. Die in den Sternen erstmalig durch Kernfusion erzeugten schweren Elemente (Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, etc.) werden freigesetzt und an das umgebende Gas abgegeben; sie reichern dieses chemisch an. Vermutlich ist die durch diese ersten Supernova-Explosionen freigesetzte Energie so groß, dass das die Sterne umgebende Gas aus den Dunkle-Materie-Strukturen (auch „Dunkle-Materie-Halos“ genannt) komplett weggeblasen wird und sich mit dem primordialen Gas außerhalb der Halos vermischt. Durch die voranschreitende Klumpung und Verschmelzung der Dunklen-Materie Halos bilden sich in dieser Epoche aber immer größere und massivere Halos, in denen schließlich doch neue Sterne entstehen können. Die Sternentstehung in diesen ersten Galaxie-ähnlichen Gebilden („Protogalaxien“) verläuft nun effizienter, da bei diesen größeren Halo-Massen die Kühlung des Gases auch ohne molekularen Wasserstoff erfolgen kann. Diese zweite Generation von Sternen setzt soviel energiereiche, ionisierende Strahlung frei, dass die ionisierten Blasen im intergalaktischen Raum um die Protogalaxien herum immer größer werden und schließlich überlappen (Abbildung 2). Dieser Prozess markiert das Zeitalter der Reionisation. Nun, da sich aus dem primordialen Gas zum ersten Mal Sterne und Frühtypen von Galaxien gebildet haben, können wir zum ersten Mal auch die Begriffe „interstellar“ und „intergalaktisch“ sinngemäß verwenden. Das intergalaktische Medium ist nun wieder fast vollständig ionisiert (wie in der Epoche vor der Rekombination) und ist somit auch wieder durchlässig für energetische Strahlung, da der absorbierende neutrale Wasserstoff fast vollständig weg-ionisiert wurde. Bis heute bleibt das intergalaktische Medium in diesem hoch-ionisierten Zustand. Dafür sorgt die Strahlung massiver Sterne in den an Anzahl und Masse wachsenden Galaxien und die besonders energetische Strahlung der sich zunehmend entwickelnden aktiven Galaxienkerne.Nur deswegen können wir überhaupt das Licht von frühen Galaxien bei hoher Rotverschiebung beobachten. Wäre das intergalaktische Medium neutral, so würde der darin enthaltene neutrale Wasserstoff nahezu jegliches Licht dieser Objekte verschlucken.

Wann genau die Epoche der Reionisation abgeschlossen ist, ist bei Astronomen umstritten. Die Tatsache, dass wir das Licht von Objekten bis z~6.5 sehen können belegt, dass das intergalaktische Medium bei dieser Rotverschiebung schon nahezu vollständig ionisiert sein muss, die Reionisation bei dieser Rotverschiebung also schon im Wesentlichen vollzogen sein muss.

Wie sich aus kosmischem Gas eine Spiralgalaxie bildet

Nach Abschluss der Reionisation schreitet die Strukturbildung weiter voran, dichtere Gebiete im Universum werden dichter, Gebiete mit geringer Materiedichte dünnen sich weiter aus, da die Gravitation die Zusammenballung von Materie vorantreibt. Mehr und mehr Galaxien bilden sich aus dem riesigen kosmischen Gas-Reservoir. Durch die zunehmende Sternentstehung und Sternentwicklung wird das interstellare Gas immer weiter mit schweren Elementen angereichert. Überdies bildet sich in den Hüllen von Roten Riesensternen interstellarer Staub, kleinste Partikel (im Mikrometer-Bereich) aus Silikaten und Graphiten, die sich mit den Molekülen, Atomen und Ionen im interstellaren Gas vermischen. Dennoch ist zu beachten, dass selbst bei z=3 der Baryonenanteil des intergalaktischen Gases immer noch bei über 95 Prozent liegt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde also nur ein geringer Bruchteil der Materie in Form von Sternen in Galaxien „verarbeitet“. Doch wie läuft die Entstehung einer Galaxie aus dem gasförmigen Material eigentlich genau ab? Man hat mittlerweile eine einigermaßen gute Vorstellung davon, wie Galaxien aus dem Gas entstehen, auch wenn viele Einzelheiten noch unklar sind. Wir wollen uns im folgenden als Beispiel die Entstehung einer Spiralgalaxie – so wie die Milchstraße – vor Augen führen.

Wie bereits erwähnt, folgt das gasförmige Material im Universum der Masseverteilung der Dunklen Materie. Größere Strukturen aus Dunkler Materie bilden Potentialtöpfe, in denen sich das Gas fortwährend sammelt. Durch den Einfall in die Dunkle-Materie-Halos wandelt das Gas potenzielle Energie aus der Gravitation in kinetische Energie, und schließlich in thermische Energie um, sodass sich das Gas auf mehrere Millionen Grad aufheizt. Es bildet sich eine Gleichgewichtssituation, die einen weiteren schnellen gravitativen Kollaps des Gases verhindert. In diesem „hydrostatischen Gleichgewicht“ ist im Zentrum des Dunkle-Materie-Halos die Gasdichte höher als in den Außenbereichen. Die mit der Dichte zunehmenden Stoßprozesse der Gasteilchen in den inneren Bereichen des Halos führen zu Abstrahlung von Energie, vor allem in Form von hochenergetischer Röntgen-Strahlung. Durch die Abstrahlung kühlt das Gas langsam ab und sinkt immer weiter in das Zentrum des Dunkle-Materie-Halos. Dabei ist entscheidend, dass das Gas seinen Drehimpuls behält (der Drehimpuls ist eine physikalische Erhaltungsgröße). Deswegen rotiert die Gaswolke immer schneller um ihre eigene Achse (so wie eine Eiskunstläuferin bei einer Pirouette immer schneller rotiert, wenn sie Ihre Arme an den Körper heranzieht). Aus der Wolke bildet sich dann eine Gasscheibe, deren Durchmesser durch die Drehimpulserhaltung auf einen konstanten Wert gehalten wird. Nach weiterer Abkühlung dieser Gasscheibe bilden sich in den dichteste Gebieten Molekülwolken, in denen nach und nach Milliarden von Sterne entstehen.

Gas in ausgedehnten Galaxienhalos

Der Prozess der Gasakkretion in Dunkle-Materie-Halos beschreibt auf vereinfachte Weise die Entstehung einer Spiralgalaxie. Aus diesem Entstehungsszenario ergibt sich auch auf natürliche Weise der Aufbau und die räumliche Struktur des interstellaren Gases in Spiralgalaxien, so wie wir es heute z.B. in der Milchstraße beobachten. Als prägende Charakteristika dieser Art von Galaxien sind auf großen Skalen natürlich als erstes die Spiralarme zu nennen, kinematische Strukturen von erhöhter Materiedichte innerhalb der Scheibe, in denen sich sowohl Sterne als auch Gas konzentrieren. Im inneren, zentralen Bereich der Scheibe befindet sich der Bulge, eine sphärische, helle Verdickung der Scheibe mit einer hohen Sterndichte. Die Scheibe wird umgeben von dem sogenannten Halo, also dem sich weit in den intergalaktischen Raum ausdehnenden Außenbereich der Galaxie. Im Halo befinden sich sich vereinzelte Sterne, Kugelsternhaufen und sehr heißes Gas (in Anlehnung zur Sonne spricht man auch von „koronalem“ Gas oder kurz „Korona“). Der Begriff „Halo“ bei Galaxien ist also zunächst einmal als räumliche Angabe zu verstehen. Das heiße koronale Gas im Halo einer Galaxie stellt das räumliche Bindeglied zwischen der relativ dichten gasförmigen Scheibe und dem umgebenden, filamentartigen intergalaktischen Medium her. Der Begriff des Halos einer Galaxie hat sich etabliert lange bevor man das Konzept von Dunkle-Materie-Halos eingeführt hat. Beide Begriffe sind aber inhaltlich miteinander verknüpft, denn es ist die gravitative Anziehung des Dunkle-Materie-Halos, die die Sterne und das interstellare Gas in Galaxien zusammenhält. Deswegen hängt die räumliche Ausdehnung einer Galaxie (und damit die Größe des Galaxien-Halos) maßgeblich von der Masse des dazugehörigen Dunkle-Materie-Halos ab. Die meisten Galaxien im Universum sind jedoch nicht isoliert, sondern Teil von noch größeren Strukturen, nämlich Galaxien-Gruppen und Galaxien-Haufen. In dieser hierarchischen Verteilung der Materie im Universum können die Dunkle-Materie-Halos von Galaxien deswegen auch nicht isoliert betrachtet werden. Wir wollen dieses hierarchische Prinzip am Beispiel der Milchstraße etwas näher betrachten.

Die Milchstraße ist Teil der „Lokalen Gruppe“, einer Ansammlung von mindestens 50 Galaxien unterschiedlicher Masse. Die Milchstraße und die Andromeda-Galaxie sind beides große Spiralgalaxien und dominieren die Materieverteilung der Lokalen Gruppe.Innerhalb des gravitativen Einflussbereichs der Milchstraße (also innerhalb des Dunklen-Materie-Halos der Milchstraße) befinden sich mehrere Zwerggalaxien mit eigenen, kleineren Dunkle-Materie-Halos (z.B. die Magellanschen Wolken), die von der Milchstraße nach und nach eingefangen und einverleibt werden. Es ist weiter davon auszugehen, dass sich die Dunkle-Materie-Halos von Milchstraße und Andromeda überlappen. Aufgrund dieser Überlegungen wird deutlich, dass es enorm schwierig, ja fast unmöglich ist, die Ausdehnung eines einzelnen Galaxien-Halos exakt zu definieren. Dies führt für die Massenabschätzung des zu Galaxien gehörigen interstellaren Gases zu großen Schwierigkeiten. Denn während die stellare Masse einer Galaxie wie die Milchstraße im Wesentlichen durch die Sterne in der Scheibe bestimmt wird und somit relativ gut abzuschätzen ist, befindet sich ein signifikater Anteil des interstellaren Gases in Spiralgalaxien möglicherweise in Form von heißem, sehr dünnem koronalen Gas auß der Scheibe. Da aber die genaue Ausdehnung dieses koronalen Gases unbekannt ist und die Masse von der dritten Potenz des Radius des Gashalos abhängt, ist die Massenabschätzung des koronalen Gases extrem unsicher. Wenn wir zum Beispiel annehmen, dass der koronale Gashalo der Milchstraße einen Durchmesser von 500,000 Lichtjahren hat, dann betrüge die Gesamtmasse des Gases in diesem riesigen Volumen trotz der extrem niedrigen Dichte von nur wenigen Dutzend Teilchen pro Kubikmeter etwa 1 Milliarde Sonnenmassen. Dieses entspricht in etwa der Masse des interstellaren Gases in der Scheibe, wo das Gas sehr viel dichter ist, das Volumen aber deutlich kleiner. Heißes und kaltes Gas könnte sich in der Milchstraße also in etwa die Waage halten.

Interstellares Gas in den Scheiben von Spiralgalaxien

In der relativ dünnen Scheibe einer Spiralgalaxie hat das interstellare Gas die höchste (Teilchen-) Dichte. Der überwiegende Anteil des Gases in der Scheibe besteht dabei aus neutralem Wasserstoff, der sich besonders gut mittels der 21cm Linie mit Radioteleskopen beobachten lässt. Dabei ist die Ausdehnung der gasförmigen neutralen Gasscheibe im Regelfall deutlich größer als die für uns unmittelbar sichtbare stellare Scheibe. Offensichtlich sind die physikalischen Bedingungen in den äußeren Bereichen der Scheibe so, dass dort nur sehr wenige Sterne aus dem Gas entstehen können. Ein gutes Beispiel dafür ist die Galaxie NGC 2403, wie in Abbildung 3 gezeigt. Die neutrale Gasscheibe (in 21cm Emission beobachtet) ist in ihrem Durchmesser mehr als doppelt so groß wie die im Visuellen sichtbare stellare Scheibe der Galaxie. Es ist sogar zu erwarten, dass die Gasscheibe noch ausgedehnter ist. Durch die abnehmende Gasdichte und die begrenzte Empfindlichkeit der Radioteleskope lässt sich das neutrale Gas nur bis zu einem bestimmten Radius beobachten. Es ist klar, dass sich durch solche Unsicherheiten die Gesamtmassen von neutralen Gasscheiben in Spiralgalaxien nur mit begrenzter Genauigkeit bestimmen lassen, insbesondere auch deswegen, da in der Berechnung der Gesamtmasse der Radius quadratisch eingeht. Auch für unsere eigene Milchstrasse ist der exakte Durchmesser der Gasscheibe nicht bekannt. Man geht derzeit von einem Durchmesser von etwa 200.000 Lichtjahren aus, wobei die Dicke der neutralen Scheibe nur etwa 800 Lichtjahre beträgt. Das Verhältnis aus Dicke und Durchmesser ist für die neutrale Gasscheibe der Milchstrasse somit weniger als halb so groß wie bei einer CD!


NGC 2403 HI NGC 2403 optical
Abbildung 3: Neutrale Gasscheibe (HI 21cm Linie, links) und stellare Scheibe (visuell, rechts) der Spiralgalaxie NGC 2403. Die Gasscheibe hat eine Durchmesser der mehr als doppelt so groß ist wie die stellare Scheibe. Dies zeigt, dass die Sternentstehung in dieser Galaxie im Wesentlichen auf den inneren Teil der Scheibe beschränkt ist.
Credit: Image courtesy of NRAO/AUI and Tom Oosterloo, Astron, The Netherlands.

Das Gas in der Scheibe einer Spiralgalaxie ist nicht homogen verteilt, sondern strukturiert sich sowohl auf großen als auch auf kleinen Skalen (Kasten „Phasen des interstellaren Gases in Spiralgalaxien“; sieh auch Artikel von P. Richter, SuW Spezial 1/2006, S. 48). Dies hat zur Folge, dass das interstellare Medium innerhalb der Scheibe erhebliche Dichte- und Temperaturunterschiede von mehreren Größenordnungen aufweist. Das neutrale Gas (als die Regionen im interstellaren Gas, in denen der Wasserstoff in neutraler Form vorliegt) ist innerhalb der Scheibe relativ gleichmäßig verteilt, die Verteilung folgt aber natürlich den globalen Strukturen (z.B. den Spiralarmen). Wärmeres neutrales Gas umschließt dabei die etwas kompakteren, kühleren neutralen Gaswolken. Die dichtesten und kältesten Gebiete des interstellaren Mediums sind die großen Molekülwolken, die sich überwiegend im inneren Bereich der Scheibe befinden. In den Molekülwolken klumpt sich das Gas auf hohe Dichten zusammen, sodass es unter seiner eigenen Schwerkraft kollabiert und neue Sterne bildet. Dabei kombinieren zunächst die Atome zu Molekülen. Durch die hohe Dichte an Gas- und Staubteilchen schon am Rand der Wolke wird der innerste Teil der Molekülwolke von der dissoziierenden und ionisierenden Strahlung abgeschirmt, sodass sich das Gas „ungestört“ weiter verdichten und abkühlen kann. Wie die Sternentstehung dann genau vor sich geht, ist allerdings noch nicht ausreichend gut verstanden. Insbesondere ist die Rolle vom Magnetfeldern und Turbulenzen im Gas nicht klar (siehe auch Artikel von S. Wolf, Th. Henning und R. Launhardt, SuW Spezial 1/2006, S. 63). Molekülwolken lassen sich besonders gut im Radiobereich über die Emissionslinien des Kohlenstoffmonoxids (CO) studieren (siehe Kasten).

Die neu entstandenen Sterne, insbesondere die massivsten und leuchtkräftigsten Sterne, dissoziieren und ionisieren durch die von ihnen ausgesandte Strahlung das umgebende interstellare Gas. Dadurch entstehen um die Sternentstehungsgebiete herum expandierende Blasen ionisierten Gases, die sich wie Löcher in einem Schweizer Käse in die neutrale Gasscheibe hineinfressen. Solche sogenannten HII-Regionen (HII steht hierbei für ionisierten Wasserstoff) lassen sich sehr gut bei optischen Wellenlängen beobachten, wo das Gas intensive Strahlung freisetzt, die durch die Rekombination von Elektronen mit Atomrümpfen erzeugt wird (sog. „Rekombinationsstrahlung“, z.B. von Wasserstoff (H alpha); siehe Kasten). Massive Sterne und deren stellare Winde treiben zusätzlich Energie in diese Aushöhlungen, wodurch die ionisierten Blasen weiter expandieren. Wenn die massivsten der Sterne in einer Supernova-Explosion aufgehen, wird in sehr kurzer Zeit extrem viel Energie freigesetzt – diese Energie wird von umgebenden interstellaren Gas aufgefangen. Dadurch kann das Gas auf sehr hohe Temperaturen (bis zu mehreren Millionen Grad) aufgeheizt werden und die HII Regionen können so weit expandieren, dass sie vertikal aus der neutralen Scheibe ausbrechen. Das heiße Gas strömt dann in den Galaxien-Halo. Dort wird es eventuell nach einiger Zeit abkühlen und – eingefangen im Schwerefeld der Galaxie – als neutrales Gas zur Scheibe zurückfallen. Dieser Prozess wird auch als „galaktische Fontäne“ bezeichnet. Astronomen glauben, dass die galaktische Fontäne zumindest teilweise für eine Population von neutralen Gaswolken oberhalb und unterhalb der Scheibe verantwortlich ist, die man aufgrund ihrer hohen Radialgeschwindigkeit als „Hochgeschwindigkeitswolken“ bezeichnet (Abbildung 4; siehe auch Artikel von B.P. Wakker und P. Richter, Spektrum der Wissenschaft, April 2004, S. 46). Der Einfall dieser Gaswolken auf die neutrale Scheibe führt zu Dichtefluktuationen im interstellaren Gas, woraus sich unter Umständen neue Sternentstehung ergibt. Die Umwandlung von interstellarem Gas in Sterne und zurück wird in der Astrophysik auch als „kosmischer Materiekreislauf“ bezeichnet.



Hochgeschwindigkeitswolken

Abbildung 4: „Hochgeschwindigkeitswolken“ im Halo der Milchstraße, aufgenommen in der 21cm Linie des neutralen Wasserstoffs. Diese neutralen Gaswolken befinden sich ober- und unterhalb der galaktischen Scheibe und bewegen sich mit großen Geschwindigkeiten auf die Scheibe zu oder von ihr weg. Die Wolken bestehen zum einen aus Material, das aus dem intergalaktischen Medium und von Satellitengalaxien akkretiert wird, zum anderen aus Gas, welches aus der Scheibe als Teil einer galaktischen Fontäne in den Halo geschleudert wird.
Credit: Tobias Westmeier & Peter Kalberla (LAB-Survey). Bildmaterial von Philipp Richter.

Interstellares Gas in anderen Galaxien-Typen

Am Beispiel von Scheibengalaxien kann man besonders gut erkennen, welche komplexen Zusammenhänge zwischen stellarer und interstellarer Materie bestehen. Doch wie verhält es ich mit anderen Galaxien-Typen und deren gasförmiger Materie-Komponente? Die extrem massiven, elliptischen Galaxien bestehen überwiegend aus Dunkler Materie und alten Sternen, die anscheinend regellos in einer diffusen Sternenwolke ihre Bahnen um das Galaxienzentrum ziehen. In optischen Aufnahmen erscheinen elliptische Galaxien deshalb auch oft als strukturlose, „langweilige“ Gebilde. Frühe Beobachtungen von elliptischen Galaxien zeigten, dass in diesen kaum Sternentstehung stattfindet. Interstellares Gas konnte zunächst garnicht nachgewiesen werden. Lange Zeit dachte man deswegen, dass elliptische Galaxien überhaupt kein interstellares Gas beherbergen. Erst mit empfindlicheren Meßinstrumenten konnte gezeigt werden, dass elliptische Galaxien kaltes und vor allem heißes interstellares Gas enthalten, allerdings mit deutlich kleinerem Massenanteil als bei Spiralgalaxien. Mit Hilfe von satellitengestützen Röntgenteleskopen kann man beobachten, dass massive elliptische Galaxien von einer Korona aus sehr heißem Gas mit Temperaturen von mehreren Millionen Grad umhüllt sind. Ursprung und physikalische Bedingungen dieses heißen interstellaren Gases unterscheiden sich dabei grundsätzlich von den Eigenschaften des interstellaren Mediums in Spiralgalaxien. Das liegt vor allem an der von Spiralgalaxien sehr verschiedenen Zusammensetzung und räumlichen Struktur. Die Eigenschaften und die Zusammensetzung des interstellaren Gases in elliptischen Galaxien werden bestimmt durch den Auswurf stellaren Materials der überwiegend sehr alten Sterne am Ende ihres Entwicklungsweges und durch Supernova-Explosionen. Bedingt durch die Tatsache, dass die Bahnen der Sterne in diesen Galaxien keiner geordneten Bewegung folgen, kollidieren die von den Sternen abgeworfenen, sich radial ausbreitende Gashüllen miteinander und heizen somit das neu freigesetzte interstellare Material auf hohe Temperaturen auf, wodurch es Röntgenstrahlung emittiert. Mitunter entwickeln sich in elliptischen Galaxien auch sogenannte „Kühlströme“. Dabei fliesst kälteres Gas zum Zentrum der Galaxie, wird durch den nach innen steigenden Gasdruck komprimiert und kühlt weiter ab. Eventuell können auf diese Weise schließlich doch neue Sterne in elliptischen Galaxien entstehen, wenn auch in sehr begrenztem Umfang.

Auch kleinere Galaxien, die sogenannten Zwerggalaxien, enthalten interstellares Gas. Zwerggalaxien treten in verschiedenen Formen auf, sie können spiralförmig oder elliptisch sein, oder auch irreguläre Formen haben. Der Gasinhalt dieser Galaxien variiert beträchtlich, je nach Entwicklungszustand und Umfeld. Zwerggalaxien befinden sich überwiegend in Galaxien-Gruppen und treten dort als Satellitengalaxien von größeren Spiralen in Erscheinung. Auch die Milchstraße hat eine ganze Reihe von Satellitengalaxien um sich herum, so z.B. die Magellanschen Wolken, die am Südhimmel zu beobachten sind. Durch die Nähe zu einer viel größeren (typischerweise mehr als hundert mal schwereren) „Muttergalaxie“ wird die Entwicklung der Zwergsatelliten erheblich beinflusst, inbesondere auch die Entwicklung des interstellaren Gases darin. Durch den gravitativen „Zug“ der viel massiveren Muttergalaxie können zum Beispiel Dichtefluktuationen im Gas der Zwerggalaxie hervorgerufen werden, was zu einem plötzlichen Anstieg der Sternentstehungsrate führen kann. Ein solcher „Starburst“ kann dazu führen, dass die durch die neuen Sterne verursachten Sternwinde und Supernova-Explosionen zeitgleich extrem viel Energie freisetzen, sodass das interstellare Medium komplett aus der Zwerggalaxie geblasen wird und in den intergalaktischen Raum entweicht („Superwind“). Fliegt eine Zwerggalaxie sehr nahe an seiner Muttergalaxie vorbei, so kann das interstellare Gas der Zwerggalaxie auch direkt abgestreift werden. Dies geschieht zum einen durch die gravitative Wechselwirkung zwischen beiden Galaxien. Zum anderen fliegt in diesem Fall die Zwerggalaxie durch den gasförmigen Halo der Muttergalaxie hindurch, sodass der dadurch entstehende Staudruck das Abstreifen des Gases der Zwerggalaxie erleichtert. Letztendlich führt die gravitative Wechselwirkung dazu, dass die Zwerggalaxien zerrissen werden und mit ihren Muttergalaxien verschmelzen. Stellares und interstellares Material, das ursprünglich aus den Satellitengalaxien stammt, wird somit in die Muttergalaxien eingebaut. Diese gewinnen somit im Laufe der Zeit an Masse und wachsen stetig. Ein Zustrom an Gas aus Zwerggalaxien wird übrigens auch bei der Milchstraße beobachtet. Der „Magellansche Strom“, eine gigantische neutrale Gaswolke im Halo der Milchstraße, die auch als Hochgeschwindigkeitswolke klassifiziert ist, besteht aller Wahrscheinlichkeit aus Gas, welches von der Milchstraße aus den Magellanschen Wolken herausgerissen wurde und nun von ihr einverleibt wird.

Das ionisierte intergalaktische Medium – ein riesiges Materiereservoir

Lyman Alpha Wald

Abbildung 5: Der Lyman-Alpha-Wald im optischen Spektrum eines Quasars. Die vielen einzelnen Absorptionslinien werden durch neutralen Wasserstoff im intergalaktischen Medium erzeugt, das sich in den kosmischen Filamenten sammelt. Durch die Expansion des Universums hat jedes dieser Filamente entlang der Sehlinie eine eigene, charakteristische Rotverschiebung, die die Position der dazugehörigen Absorptionslinie im Spektrum bestimmt.
Credit: Philipp Richter, Daten aus der Millenium Simulation.

Während die Umwandlung von interstellarer in stellare Materie innerhalb der Galaxien stattfindet und damit deren Entwicklung vorantreibt, prägen sich auf viel größeren Skalen die Dichtekontraste in den kosmischen Filamenten durch den Einfluß der Gravitation mit der Zeit immer weiter aus. Durch die energetische Strahlung massiver Sterne und der aktiven Galaxienkerne bleibt das intergalaktische Medium hochgradig ionisiert. Weniger als eins von 1 Millionen Wasserstoffatomen befindet sich im neutralen Zustand (ist also nicht ionisiert). Dennoch, diese verhältnismäßig wenigen neutralen Wasserstoffatome im intergalaktischen Gas hinterlassen in den Spektren weit entfernter Quasare und anderer aktiver Galaxienkerne charakteristische Absorptionslinien, mit denen sich die Eigenschaften des davorliegenden intergalaktischen Gases studieren lassen (Abbildung 5). Diese Absorptionslinien werden überwiegend durch die Lyman Alpha Linie des neutralen Wasserstoffs hervorgerufen, die bei einer Ruhewellenlänge von etwa 121.6 Nanometern im ultravioletten Wellenlängenbereich liegt. Durch die Expansion des Universums werden die intergalaktischen Lyman Alpha Absorptionslinien um den Faktor (1+z) rotverschoben, wobei z die jeweilige Rotverschiebung eines intergalaktischen Gasfilaments ist. Wenn man also durch das komplexe Netzwerk von intergalaktischen Gasfilamenten durchschaut, erhält man ein charakteristisches Muster von Absorptionslinien, welches durch den Rotverschiebungseffekt weit bis in den optischen Wellenlängenbereich hineinreicht. Dieser sogenannte „Lyman-Alpha-Wald“ erscheint uns wie ein kosmischer Strichcode, mit dem man die Verteilung dunkler und baryonischer Materie in den kosmologischen Filamenten untersuchen kann.

Doch durch die zunehmende Zusammenballung von baryonischer und Dunkler Materie in den kosmischen Filamenten gewinnt das intergalaktische Gas neben der energetischen Strahlung von aktiven Galaxienkernen zusätzliche Energie, die zur Aufheizung führt. Grund dafür ist die Gravitation selbst: durch den Einfall der gasförmigen Materie in die Dunkle-Materie-Halos gewinnt das Gas potenzielle Energie, die zunächst in kinetische und schließlich in thermische Energie umgewandelt wird. Dies führt zu einer Temperaturerhöhung des Gases. Die Umwandlung von potenzieller Gravitationsenergie in kinetische Energie kann man sich anhand einer Kugel veranschaulichen, die sich auf einer Oberfläche befindet und in eine Senke oder Mulde hineinrollt. Beim Einfall in die Mulde beschleunigt die Kugel und erhöht somit ihre kinetische Energie. Vernachlässigt man die Reibung, so entspricht der Gewinn an kinetischer Energie exakt dem Verlußt an potenzieller Energie („Lageenergie“ der Kugel). Die Aufheizung des intergalaktischen Gases und die zunehmende Verdichtung in den immer größer werdenden Potentialtöpfen der Dunklen-Materie-Halos führt dazu, dass die Ionisation durch Stöße zwischen den Gasteilchen gegenüber der Ionisation durch Strahlung zunehmend an Bedeutung gewinnt. In den dichtesten Gebieten der intergalaktischen Filamente dominiert im heutigen Universum deswegen die Stoßionisation über die Ionisation durch Strahlung, weshalb dort der Anteil an neutralem Wasserstoff im Gas noch weiter reduziert ist. Durch den nunmehr kaum noch messbaren Anteil an neutralem Wasserstoff „verschwindet“ diese heiße, intergalaktische Gaskomponente aus dem Spektrum des Lyman-Alpha-Waldes und bleibt dem Beobachter fast vollständig verborgen. Aus dem Vergleich der Anzahl der Lyman-Alpha-Absorptionslinien bei hoher Rotverschiebung und heute läßt sich abschätzen, dass sich im lokalen Universum etwa 50 Prozent des intergalaktischen Gases in dieser durch Stöße ionisierten, heißen Phase befinden muss.

Besonders heißes intergalaktichess Plasma mit Temperaturen bis zu 100 Millionen Grad findet man in den größten gravitativ gebundenen Objekte im Universum: den Galaxienhaufen. Diese gigantischen, aber relativ seltenen Objekte repräsentieren die dichtesten Knoten im kosmischen Materienetz und können mehrere tausend Galaxien enthalten. Die enorme Masse dieser Objekte von typischerweise 1 Billiarden (!) Sonnenmassen bindet eine große Menge an heißem Gas. Dieses Haufengas ist dadurch verhältnismäßig dicht und kann von sich aus Strahlung emittieren, die man mit Satelliten im Röntgenbereich messen kann. Ähnlich wie bei den elliptischen Galaxien – nur jetzt auf viel größeren Skalen – können sich in Galaxienhaufen Kühlströme entwickeln, die kälteres gasförmiges Material in das Zentrum des Haufens wandern lassen.

Trotz der vielen milliarden Galaxien, die sich seit dem Zeitalter der Reionisation aus dem kosmischen Gasreservoir gebildet haben, ist doch nur ein Bruchteil dieses Materials in stellare Materie umgewandelt worden. Bei z=0, also im heutigen Universum, befindet sich noch etwa 70 Prozent (!) der baryonischen Materie in Form von diffusem intergalaktischen Gas. Dieses Gas bildet die „Treibstoffreserve“ für viele zukünftige Sterngenerationen in den Galaxien. Der Zustrom von intergalaktischem Material auf die Galaxien ist für deren Entwicklung auch heute noch von großer Bedeutung, insbesondere für Scheibengalaxien wie die Milchstraße. Dabei ist jedoch unklar, ob das akkretierte Gas als heißes, überwiegend ionisiertes Gas auf die Galaxien einfällt, oder ob das Gas kühlt, und als neutrale Gaswolken auf die Scheibe „regnet“. Für die Milchstraße würde letzteres Szenario bedeuten, dass das einfallende intergalaktische Gas die Form von Hochgeschwindigkeitswolken annimmt, die ja gleichfalls auch akkretiertes Gas aus Satellitengalaxien und Gas aus der galaktischen Fontäne repräsentieren (siehe oben). Infolgedessen ist die Unterscheidung, ob das Gas einer Hochgeschwindigkeitswolke aus dem intergalaktischen Medium kommt oder aus einer Satellitengalaxie oder aus der galaktischen Fontäne ist extem schwierig und nur möglich, wenn man die chemische Zusammensetzung des Gases bestimmen kann. Dazu muss man in geeigneten Spektren die Absorptionslinien schwerer Elemente in den Hochgeschwindigkeitswolken untersuchen. Studien dieser Art, die in den letzten mit dem FUSE Satelliten und dem Weltraumteleskop Hubble durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass tatsächlich alle drei Szenarien (intergalaktisches Gas, Gas aus Satellitengalaxien und galaktische Fontäne) bei der Entstehung der Hochgeschwindigkeits-wolken eine Rolle spielen (siehe Abbildung 4).

Der galaktisch-intergalaktische Materiekreislauf

galaktischer Materiekreislauf

Abbildung 6: Der Materiekreislauf zwischen interstellarem und intergalaktischem Gas am Beispiel einer Scheibengalaxie (wie der Milchstraße). Gas aus dem intergalaktischen Medium strömt in die Knotenpunkte der Dunklen-Materie-Verteilung und bildet dort Galaxien. Der Zustrom an intergalaktischem Gas hält bis heute an. Darüber hinaus akkretieren Galaxien im Zuge der hierarchischen Strukturentwicklung Sterne und Gas von benachbarten Zwerggalaxien. Sternentstehung und resultierende Supernova-Explosionen treiben Gas aus der Scheibe in den Halo der Galaxie. Alle diese Prozesse erzeugen eine Population von Gaswolken im Umfeld von Galaxien, die man als „Hochgeschwindigkeitswolken“ bezeichnet (siehe Abbildung 4).
Credit: Philipp Richter

Unsere Reise durch die Geschichte der gasförmigen Materiekomponente des Universums veranschaulicht, dass die zeitliche Entwicklung von Galaxien und die Eigenschaften der darin enthaltenen stellaren und interstellaren Materie nur im Zusammenhang mit deren intergalaktischen Umgebung betrachtet werden können. Dies widerspricht in gewissem Maße unserem visuellen Eindruck von Galaxien, den wir von den vielen spektakulären Bildern bekommen, die mit großen optischen Teleskopen aufgenommen werden. Dort erscheinen Galaxien als majestätische Spiralen oder mächtige Ellipsen, die statisch im Raum verharren und deren Sternenlicht eine klare Abgrenzung nach außen suggerieren. Doch dies ist eine Trugbild, denn in solchen Aufnahmen sind die äußeren Bereiche der Galaxien, insbesondere das interstellare Gas in den ausgedehnten Scheiben und den heißen Koronae, garnicht sichtbar. Überdies sind solche Bilder (wie alle Bilder) Momentaufnahmen, die die zeitliche Entwicklung dieser Objekte nicht einfangen können. Erst Beobachtungen mit den modernsten Radioteleskopen und Röntgensatelliten sowie kosmologische Simulationen zeigen heute ein anderes Gesicht der Galaxien: Galaxien als dynamische, ständig wachsende Knotenpunkte im kosmischen Netz, in denen Gas in Sterne umgewandelt wird, und die mit ihrer Umgebung stark wechselwirken. Deswegen ist klar, dass intensive Beobachtungen des gasförmigen intergalaktischen Umfeldes von Galaxien von großer Wichtigkeit sind, um die Akkretionsprozesse von Gas aus dem intergalaktischen Medium und aus Satellitengalaxien zu studieren und deren Rolle für die Entwicklung von Galaxien zu charakterisieren (siehe Abbildung 6). Für solche Studien werden auch neue Beobachtungs-instrumente, die in den nächsten Jahren in Betrieb genommen werden, einen wichtigen Beitrag leisten. So wird bei der für Mai 2009 geplanten Reparatur-Mission des Weltraumteleskops Hubble ein neuer, hoch-empfindlicher Spektrograph eingebaut („Cosmic Origin Spectrograph“, kurz: COS), der neue Daten über das interstellare und vor allem intergalaktische Gas im nahen Universum sammeln soll. Von diesem und anderen neuen Instrumenten erhoffen sich die Astronomen neue Einsichten über die faszinierenden, komplexen Eigenschaften der gasförmigen interstellaren und intergalaktischen Materiekomponente im Universum.

PHASEN DES INTERSTELLAREN GASES IN SPIRALGALAXIEN

Kaltes, molekulares Gas

kaltes,molekulares Gas

Kaltes, molekulares Gas ist die Geburtsstätte neuer Sterne. Molekulares Gas exisitiert in klumpigen Strukturen und ist eingebettet in die neutrale Gasscheibe. Diese Gasphase weist Temperaturen von etwa 10-30 Grad Kelvin und Dichten von etwa 100 bis 1 Mio. Teilchen pro Kubikzentimeter auf. Das Bild zeigt molekulare Gasklumpen am Rand des Rosetten-Nebels. Zu sehen ist die Emission des Moleküls Kohlenstoffmonoxids (CO), welche die dichtesten Gebiete im Gas anzeigt. Dort können neue Sterne entstehen.

Gefunden unter: http://www.ifa.hawaii.edu/reu/2004research/hughes.html; Credit: unklar

Staub

staub

Staub ist ein essenzieller Bestandteil des interstellaren Mediums. Dieser Staub besteht aus festen Partikeln, die zumeist weniger als ein Mikrometer sind und unter anderem aus Silikaten und Graphiten zusammengesetzt sind. Interstellarer Staub absorbiert das Licht im Visuellen sehr effizient. Eine durch interstellaren Staub verursachte Abschattung des Hintergrundlichts zeigt das Bild einer dichten Gas/Staubwolke im Sternentstehungsgebiet IC 2944.

Credit: NASA and The Hubble Heritage Team (STScI/AURA)

Kaltes und warmes neutrales Gas

Kaltes und warmes neutrales Gas

Kaltes und warmes neutrales Gas verteilt sich relativ gleichmäßig in den Scheiben von Spiralgalaxien. Typische Temperaturen und Gasdichten sind 30-10000 Kelvin und 1-100 Teilchen pro Kubikzentimeter. Auf dem Bild ist neutraler Wasserstoff in der Gasscheibe der Circinus-Spiralgalaxie (ESO 97-G13) zu sehen. Das linke Bild zeigt die Verteilung des neutralen Gases entlang der Spiralarme, das rechte Bild zeigt die Radialgeschwindigkeit des Gases, mit deren Hilfe sich die Rotationsbewegung der Scheibe studieren läßt.

Credit: ATCA HI image by B. Koribalski (ATNF, CSIRO), K. Jones, M. Elmouttie (University of Queensland) and R. Haynes (ATNF, CSIRO)

Warmes und heißes ionisiertes Gas

Warmes und heißes ionisiertes Gas

Warmes und heißes ionisiertes Gas exisitiert in der Scheibe in von massiven Sternen ionisierten Blasen, sowie im ausgedehnten galaktischen Halo („galaktische Korona“). Die Temperatur dieses Gas beträgt typischerweise 10,000 bis 100 Mio. Grad Kelvin, die Gasdichten sind mit 0,0001 bis 1 Teilchen pro Kubikzentimeter sehr niedrig. Das Bild zeigt Ausschnitte des heißen Gashalos der Galaxie NGC 4631. Blau ist die Röntgenemission des heißen Gases im Halo, Rot ist die H Alpha Emission des ionisierten Gases in der Nähe von massiven Sternen in der Scheibe. Vermutlich durch Supernova-Explosionen solcher Sterne wird das Halogas auf Temperaturen von mehreren Millionen Grad aufgeheizt.

Credit: Daniel Wang et al. Chandra, NASA. Astronomy Picture of the Day 25 Juli 2001