Einfuehrung zum Vortrag ueber "Kausalitaet" am 19. Mai ------------------------------------------------------ Achim Feldmeier Das Thema Kausalitaet nennt den wohl staerksten Antipoden zum Seminartitel "Freier Wille". Eine sehr kategorische Sichtweise hierzu wird von Wolfgang Prinz vertreten (in Geyer 2004, S. 22): "Die Idee eines freien menschlichen Willens ist mit wissenschaftlichen Ueberlegungen prinzipiell nicht zu vereinbaren. Wissenschaft geht davon aus, dass alles, was geschieht, seine Ursachen hat und dass man diese Ursachen finden kann. Fuer mich ist unverstaendlich, dass jemand, der empirische Wissenschaft betreibt, glauben kann, dass freies, also nichtdeterminiertes Handeln denkbar ist." Zur Erholung hiervon etwas von einem klassischen, liberalen Philosophen, naemlich John Locke: "To be happy or miserable without being conscious of it, seems to me utterly inconsistent and impossible" (Human Understanding II.i, Paragraph 12, 1690). Dieses Zitat stammt aus dem OXFORD ENGLISH DICTIONARY, das ueber unseren Uniserver kostenfrei (!) abrufbar ist und eine unerschoepfliche Informationsquelle zur englischen Sprache darstellt. Ist es vorstellbar, dass eine andere Person schneller unsere Stimmungen und Gemuetszustaende erkennt als wir selbst? Zum heutigen Thema "Kausalitaet" zwei klassische und entsprechend schwere Texte: Ein Kapitel aus Kants "Kritik der reinen Vernunft" und der bahnbrechende Artikel "Actions, Reasons, and Causes" von Donald Davidson (1963). Der Kanttext kann online gefunden werden: http://www.ikp.uni-bonn.de/kant/aa03/166.html und beginnt auf Seite 166 der Akademie-Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft. Deren Seitenzahlen und die der Originalausgaben (A und B genannt) finden sich in den meisten Abdrucken der KdrV. Der Text geht bis Seite 180. Wir befinden uns hier im folgenden Unterkapitel: I. Transscendentale Elementarlehre. Zweiter Teil: Die transscendentale Logik Erste Abtheilung: Die transscendentale Analytik Zweites Buch: Die Analytik der Grundsaetze 2. Hauptstueck: System aller Grundsaetze ... 3. Abschnitt: Systematische Vorstellung ... 3. Analogie der Erfahrung Zweite Analogie: Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Causalitaet Man versteht, dass diese Kapiteleinteilung seit Kants Tagen immer mal wieder Schwierigkeiten macht. Kants zentraler Gedanke besteht (in krass vereinfachter Form) darin, dass er Kausalitaet nicht als etwas betrachtet, das "mit den Objekten" kommt, sondern "vom Subjekt". Sie ist eine "reine Verstandes- kategorie." Sie ist ein "Schema", mit dem wir unsere Sinneseindruecke organisieren: an einem Faden von Zuvor und Danach, von Ursache und Wirkung. Dies hat Kausalitaet mit dem Kantschen Raum und der Kantschen Zeit gemein, die auch beide keine "natuerlichen Dinge" sind, sondern reine Anschauungsformen a priori. Davidson stellt in seinem Aufsatz eine revolutionaere These auf: dass reasons und causes dasselbe sind. Reasons oder Gruende sind z.B. menschliche Rationalisierungen irgendeines Tuns. Auch eine mathematische Beweisfuehrung besteht aus reasons, aus Begruendungen. Causes oder Ursachen dagegen sind eine Seite des physikalisch- empirischen Kausalitaetsbegriffs (der aus Ursachen und Wirkungen besteht). Kommt Davidson hier vielleicht Kant etwas nahe, der Kausalitaet von der "Naturseite" auf die "menschliche Seite" brachte? Davidson wird von Gerhard Roth angefuehrt als (sehr gute!) Antwort auf den Vorwurf, dass die Neurodeterministen einen Kategorienfehler begehen, naemlich solche Saetze sagen wie "das Gehirn entscheidet", wo doch das Gehirn zur physikalischen Welt gehoert, dagegen "etwas entscheiden" zur Kategorie menschlichen Tun und Handelns. Wiederum aus Geyer (2004, Seite 220): "Die durchweg vorgebrachte Behauptung, Erklaerungen menschlichen Handelns bezoegen sich ausschliesslich auf Gruende und nicht auf (kausale) Ursachen, ignoriert in bemerkenswerter Weise die Diskussion der philosophischen Handlungstheorie in den letzten Jahrzehnten. Diese konzentrierte sich naemlich auf die von Donald Davidson mit guten Argumenten untermauerte These, dass Handlungserklaerungen Kausalerklaerungen sind." Zuletzt, um dem Vortrag nicht zu sehr vorzugreifen, eine ganz andere Frage: wir sind gewohnt, Kausalitaet als etwas lineares zu begreifen. Durch die Kybernetik wurde jedoch ein interessanter neuer Begriff aufgebracht, die zirkulaere Kausalitaet, die aber im Gegensatz zum namensverwandten Zirkelschluss kein schwarzes Schaf sein soll. Zirkulaere Kausalitaet hat mit Rueckkopplung zu tun; und Rueckkopplung ist ein "guter" physikalischer Begriff. Tatsaechlich hilft hier die Physik noch weiter: die von dort bekannte "positive Rueckkopplung" (Gitarrenverstaerker; Telefoninterview im Radio) ist auch in der Biologie problematisch. Sie wird zum Beispiel mit Epilepsieanfaellen in Verbindung gebracht. Es ist heute vielfach belegt, dass das Gehirn Rueckkopplungsschleifen hat: hohe Verarbeitungsebenen bei der Aufbereitung von Sinneswahr- nehmungen (die Anatomiestunde zeigte, dass Sinnesverarbeitung seriell aufgebaut ist) senden Signale an die ersten Verarbeitungsebenen (direkt "hinter" den Sinnesorganen) zurueck und "steuern" diese damit. Stark vereinfacht gesagt: was einen interessiert, darauf richtet man seine Aufmerksamkeit ("Intentionalitaet"). Die Raender des Gesichtsfeldes bleiben dunkel. Anatomisch belegt ist auch das Auftreten folgender Rueckkopplungs- schleife an mehreren Orten unseres Gehirns. Dies ist eine negative Rueckkopplungsschleife mit Neuronen, deren Signal (z.B. ueber spezielle Neurotransmitter) HEMMEND auf andere Neurone wirkt. Die Rueckkopplungsschleife dient als Kontrastverstaerker. Die Haut einer Versuchsperson wird durch zwei raeumlich eng benachbarte Stifte eingedrueckt (kein Einstich), also gereizt. Jeder der beiden Reize soll ein ungefaehr lineares Abklingverhalten mit dem Abstand vom Stift haben (gemaess dem Eindruecken der Haut). Dies wird durch die uebereinander stehenden Zahlen (in willkuerlichen Einheiten) in der Skizze dargestellt. An den Reizrezoptoren der Haut (erste **-Schicht im Bild) sind die beiden Einzelreize raeumlich zu einem einzigen Reiz mit breitem Maximum verschmolzen: der Kontrast ("zwei getrennte Stifte") ist verschwunden. Durch die negative Rueckkopplung in einer zweiten Verarbeitungsebene (die aus zwei Nervenzellschichten besteht) wird dieser Kontrast - d.h. die Information ueber zwei raeumlich getrennte Reize - rekonstruiert. Im vereinfachten Modell wird angenommen, dass (i) das volle Signal durch die zweite **-Schicht durchgeht (mit einem mathematischen Plus), aber (ii) auch zusaetzlich die doppelt so haeufigen Zellen einer "darunter" gelegenen *-Schicht je das halbe Signal hemmend (mit einem mathematischen Minus) zur unmittelbar naechsten Nachbarzelle der **-Schicht zuruecksenden, gemaess dem Schaltplan der Zeichnung ("Kreuzmuster"). Addiert/subtrahiert man diese Zahlen fuer Reizstaerken, so gelangt man zur vorletzten Zeile der Skizze, dem Signaloutput dieser Neuronen- schicht: die zwei Reize sind hier wieder raeumlich getrennt rekonstruiert, und sogar an perfekt richtiger Stelle! Man kann die Reizstaerke -1 auch als 0 lesen: kein Signal, dann wird das Ergebnis noch eindrucksvoller: zwei delta-Spikes fuer die beiden Stifte. Stift 1 Stift 2 | | | | 0 2 4 6 4 2 0 Reiz von Stift 1 0 2 4 6 4 2 0 Reiz von Stift 2 ---H A U T--------------------------------------------------------H A U T--- | | | | | | | | | ** ** ** ** ** ** ** ** ** Rezeptoren | | | | | | | | | 0 2 4 8 8 8 4 2 0 Rezeptorsignal | | | | | | | | | (positive Summe) | | | | | | | | | **-1 0 **-2 -1**-4 -2**-4 -4**-4 -4**-2 -4**-1 -2**0 -1** 1.Neuronenschicht (+) | \ / | \ / | \ / | \ / | \ / | \ / | \ / | \ / | (Input minus Hemmung) | \ / | \ / | \ / | \ / | \ / | \ / | \ / | \ / | + X + X + X + X + X + X + X + X + | / \ | / \ | / \ | / \ | / \ | / \ | / \ | / \ | | / \ | / \ | / \ | / \ | / \ | / \ | / \ | / \ | | * * | * * | * * | * * | * * | * * | * * | * * | 2.Neuronenschicht (-) |_| |_|_| |_|_| |_|_| |_|_| |_|_| |_|_| |_|_| |_| (halbes Signal | | | | | | | | | hemmend zurueck) | | | | | | | | | -1 0 -1 2 0 2 -1 0 -1 Outputsignal = ein "Stift 1" "Stift 2" Input - zwei Hemmungen Man erkennt auch, warum solche Rueckkopplungen erst relativ spaet (ueber die Kybernetik) ins methodische Denken gelangten: Rueck- kopplungsschleifen brauchen eine Anlaufzeit. Das macht man sich am einfachsten klar, indem man die Wirkung der Neuronen in der Skizze durch eine Gruppe von Menschen simuliert (solche Neuron-gleich-Mensch Gedankenexperimente erfreuen sich seit dem Chinese-Nation-Argument von Ned Block grosser Beliebtheit). Diese Personen muessen sich dann eine Zeitlang (wie lange?) Baelle zuwerfen (ein passendes Bild fuer Signaluebertragung durch Neurotransmitterkugeln?), bis sich der obige Langzeit-output ergibt. Solche "Wartezeiten" wirken etwas "unkausal" ("wo bleibt denn die Wirkung?"). Und natuerlich ist in der Rueckkopplungsschleife nichts im strengen Sinn zirkulaer kausal. Kybernetische Modelle haben z.B. durch die Schriften von Gregory Bateson in die moderne angelsaechsische analytische Philosophie gefunden, siehe z.B. seine Buecher "Geist und Natur" und "Wo Engel zoegern" bei Suhrkamp Wissenschaft.